Sprachgefühl – Was ist das und wie entwickelst du es?

Irgendwas stimmt nicht mit dem Satz. Das hast du im Gefühl. Du wechselst Wörter aus, formulierst ihn so lange um, bis er passt. Liest ihn dir noch einmal laut vor.

Wow, genau, jetzt ist er perfekt!

Was ist da gerade passiert?

Bei dem eben beschriebenen Vorgang handelt es sich nicht um Magie. Auch wenn die Kraft, die hier am Werk ist, manchmal so wirkt.

Doch jeder Mensch verfügt über Sprachgefühl. Und das Beste ist: Du kannst selbst aktiv dafür sorgen, es weiterzuentwickeln.

Für Autoren jedenfalls ist ein gutes Sprachgefühl unerlässlich. Jenseits aller Geheimnisse des Kreativen Schreibens handelt es sich um die eine Sache, die den Unterschied macht. Das gilt fürs Schreiben von Sachtexten, von Gedichten oder Geschichten sowie fürs Romanschreiben.

Aber was genau soll Sprachgefühl eigentlich sein?

Wie entwickelst du es weiter?

Und wofür brauchst du es konkret?

All das erfährst du in diesem Artikel!

Sprachgefühl – Was soll das eigentlich sein?

Klar lässt sich Sprachgefühl definieren. Schauen wir uns doch einmal den Vorschlag des DUDEN an:

Gefühl, Sinn für den richtigen und (im Sinne einer gültigen Norm) angemessenen Sprachgebrauch.i

Daneben wird hier auch noch auf den Begriff „Stilgefühl“ verwiesen.

So lässt sich wohl jede Situation, in der Sprachgefühl eine Rolle spielt, fassen. Dafür bleibt die Definition jedoch sehr allgemein. Um uns konkret vorstellen zu können, wie unser Sprachgefühl wirkt und woraus es besteht, hilft sie kaum weiter.

Sprachgefühl ist streng genommen nicht eine einzige, homogene Sache. Vielmehr beinhaltet es unterschiedliche Ebenen, auf denen es zur Geltung kommt. Die folgende Auswahl möglicher Aspekte lässt sich sicher noch um den ein oder anderen Punkt erweitern. Sie sollte jedoch erst einmal einen guten Überblick geben.

Die schillernde Bedeutung der Wörter

Hast du du dich schon einmal mit Übersetzungen aus einer anderen Sprache in deine eigene beschäftigt? Falls ja, konntest du sicher festgestellt, dass sich nicht jedes Wort eins zu eins durch ein anderes ersetzen lässt.

Hier wird ein Umstand deutlich, der den Bereich der Semantik (- dies ist die Lehre und Forschung, die sich mit sprachlicher Bedeutung auseinandersetzt -) insgesamt kennzeichnet: Ein Wort steht nicht für eine einzige, eindeutige Sache, sondern eröffnet vielmehr ein ganzes Spektrum möglicher Bedeutungen.

Die menschliche Sprache muss entsprechend immer aus der Sprachpraxis heraus verstanden werden. Eine Theorie, die Wörter als Etiketten sieht, die man auf Marmeladengläser klebt, geht am Wesen der Sprache vorbei. Sie verkennt, wie vielschichtig, kontextabhängig und im Wandel begriffen die Bedeutung der einzelnen Ausdrücke ist.

Ein gutes Sprachgefühl zeichnet sich dadurch aus, Bedeutungsnuancen möglichst differenziert zu erfassen. Es stellt sich also immer die Frage, weshalb genau dieser Begriff verwendet wurde und kein anderer.

Was würde sich zum Beispiel verändern, wenn man den Satz „Ich bin am Leben“ durch „Ich bin“ ersetzt? Was, wenn man stattdessen „Ich existiere“ benutzt?

Alle drei Möglichkeiten meinen das Gleiche und zugleich etwas ganz Anderes.

Klang und Rhythmus

Auch durch den Klang der Wörter und ihren Rhythmus wird Bedeutung generiert. Diese lässt sich häufig nur schwer benennen, da sie sich eher auf der Ebene von Stimmungen und Emotionen abspielt. In Gedichten lässt sich dies besonders deutlich beobachten.

Nehmen wir einmal die so genannten „Lautgedichte“ als Beispiel.

Hugo Balls dadaistisches „Seepferdchen und Flugfische“ kann als Paradebeispiel verstanden werden. Der Dichter verzichtet hier, abgesehen vom Titel, auf die Verwendung von Wörtern im engeren Sinn. In der ersten Strophe heißt es

tressli bessli nebogen leila

flusch kata

ballubasch

zack hitti zoppii

Hier werden besonders wirkungsvolle Klänge generiert und miteinander kombiniert. Der Titel des Gedichts könnte als Ausgangspunkt der Interpretation dienen: Wo finden sich darin die Flugfische wieder? Wo die Seepferdchen?

Vielversprechender allerdings ist wohl der Fokus auf die lautliche Wirkung der einzelnen Wortneuschöpfungen und deren Kombination. Wichtig: Mögliche Aussagen des Gedichts sind hier in besonderem Maß eine Sache der Interpretation und doch keinesfalls beliebig. Wie das Sprachgefühl im klanglichen und rhythmischen Sinn wirkt, lässt sich hier jedenfalls auf exemplarische Weise nachvollziehen.

Der Kontext entscheidet

Die Bedeutung menschlicher Äußerungen entsteht nicht aus den einzelnen Wörtern heraus, sondern aus dem Zusammenhang. Dieses Bewusstsein für die Satz- und Textebene ist auch für das Sprachgefühl entscheidend.

Sprachliche Verstehensprozesse beziehen sich auf das Zusammenspiel einzelner Wörter. Lösen wir sie aus ihrem Kontext, so vernachlässigen wir die Haltung, die aus der sprachlichen Äußerung in ihrer Gesamtheit spricht. So entstehen leicht Fehlinterpretationen, bei denen nicht nur die eigentliche Intention des Autors, sondern auch die durch den Text in seiner Gesamtheit vermittelten Kerninhalte unberücksichtigt bleiben.

In aktuelle Debatten um die politische Korrektheit einzelner Ausdrücke und sprachlicher Praktiken wird dies besonders deutlich.

Die so genannte geschlechtergerechte Sprache ist hierfür ein gutes Beispiel. Der mittlerweile häufig erhobene Vorwurf an Autoren, die das generischen Maskulin verwenden, sie würden dem Gleichberechtigungsgedanken Missachtung entgegen bringen, vernachlässigt den Kontext des einzelnen Ausdrucks, aus dem sich der Textsinn erst ergibt.

Selbstverständlich ist es kein Zufall, dass ausgerechnet die männliche Form im generischen Sinn gebraucht wird, sondern das Ergebnis einer langen Praxis der Ungleichheit. Die Kritik einzelner Wörter, an denen dies abzulesen ist, und deren Austausch durch Praktiken wie die Verwendung des Gendersterns, schüttet jedoch das Kind mit dem Bade aus. Denn die Sprache wird so ihrer generischen Funktion beraubt.

Die Bezeichnung „Autoren“ meint eben gerade nicht alle Geschlechter, sondern überhaupt keine. Sie bezieht sich einfach auf Menschen, die Bücher schreiben. Manchmal wird die Funktion einzelner Ausdrücke also erst deutlich, indem wir die Gesamtbedeutung eines Textes in den Blick nehmen. Dieses Bewusstsein ist für ein ausgeprägtes Sprachgefühl essentiell.

Ein wenig Kommunikationspsychologie

Watzlawiks berühmte Aussage „Man kann nicht nicht kommunizieren“iii macht es deutlich: In sozialen Zusammenhängen senden wir per se Botschaften aus. Selbst wenn wir uns abwenden oder schweigen.

Kommunikation findet also ständig statt, gezielt und ungezielt, freiwillig und unfreiwillig sowie mehr oder weniger erfolgreich. Da ist es nicht verwunderlich, dass auch bei sprachlichen Äußerungen keinesfalls bloß das eigentlich Gemeinte eine Rolle spielt. Zum Sprachgefühl gehört es auch und gerade dazu, zu erahnen, was nicht explizit gesagt wurde und doch beim Kommunikationspartner ankommen kann.

Friedemann Schulz von Thun verdeutlicht mit seinem Modell der vier Münder und Ohreniv: Selbst alltäglichste Wortwechsel sind im kommunikationspsychologischen Sinn ganz schön komplex. Indem wir unser Verständnis für diese Zusammenhänge erweitern, bauen wir zugleich unser Sprachgefühl aus.

Bei jeder Aussage in einem Kommunikationszusammenhang lassen sich demnach vier Dimensionen unterscheiden, die beim Senden und Empfangen von Nachrichten relevant sind:

  • die Sachebene
  • die Beziehungsebene
  • die Ebene der Selbstoffenbarung
  • sowie die Appell-Ebene

Der Satz „Es ist ganz schön kalt“ könnte in diesem Sinn ganz unterschiedlich verstanden werden:

  • Als Sachaussage über die Temperatur im Raum
  • als Bekundung, dass der Sender die Beziehung zum Empfänger als so vertraut einstuft, dass er diese Aussage treffen kann
  • als Offenbarung des eigenen Temperaturempfindens
  • oder als Aufforderung an den Empfänger das Fenster zu schließen.

Mach dir an konkreten Kommunikationssituationen bewusst, welche möglichen Botschaften durch bestimmte Aussagen gesendet oder empfangen werden. Auch Dialoge in Romanen, Geschichten oder Theaterstücken eignen sich sehr gut für eine solche Analyse.

Stück für Stück fließt diese Betrachtungsweise so in dein Sprachgefühl ein. So wirst du sensibler für die nicht offensichtlichen Dimensionen sprachlicher Äußerungen und das Wechselspiel, das sich aus den Erwartungen und Intentionen der einzelnen Kommunikationspartner ergibt.

Die Intuition kommt zuerst

Die bisherigen Überlegungen könnten zu einem Missverständnis verleiten. Wir haben sprachliche und außersprachliche Elemente kennengelernt, aus denen sich die Bedeutungsdimensionen bestimmter Äußerungen ableiten lassen – das klingt sehr rational, analytisch und überhaupt nicht mehr nach Gefühl.

Haben wir es in Wahrheit mit vernunftbasierten Überlegungen und trennscharfer Analyse zu tun, wenn wir von Sprachgefühl sprechen?

Keinesfalls!

Dein Sprachgefühl ist unter anderem das Ergebnis deiner bisherigen Auseinandersetzung mit Sprache. Alle Aspekte wie Klang, Rhythmus, Wortbedeutung, Satzbedeutung, metaphorische Bedeutung, Gesagtes, Gemeintes, Gehörtes und so weiter spielen hier eine Rolle. Sie werden allerdings erst begrifflich relevant, wenn du versuchst, deine sprachliche Intuition rational zu ergründen. All diese Ebenen sind Teil des Sprachgefühls und doch können sie erst im Nachhinein durch Analyse auf den Punkt gebracht werden.

Dein Sprachgefühl selbst entfaltet hingegen intuitiv seine Wirkung.

Es vollzieht sich unmittelbar im Augenblick der Produktion oder Rezeption – also beim Schreiben, Lesen oder Hören sprachlicher Äußerungen.

Indem du die unterschiedlichen Bedeutungsdimensionen analytisch erschließt, kannst du es weiter entwickeln. Doch erst, indem du von all diesen Rationalisierung ablässt und dich ganz auf deine sprachliche Intuition verlässt, kommt es voll zur Geltung.

Wie entwickle ich Sprachgefühl?

Allein schon die Frage, in welchem Verhältnis die Gene und die gemachten Erfahrungen dafür zuständig sind, über welche Fähigkeiten ein Mensch verfügt, vernachlässigt das Zusammenspiel beider Bereiche. Denn diese stehen in einem komplexen Wechselverhältnis. Spezifische genetische Dispositionen führen dazu, dass wir bestimmte Erfahrungen machen. Spezifische Erfahrungen wiederum lassen spezifische genetische Dispositionen erst relevant werden.

Dies zeigt auf, dass unser Sprachgefühl aufs Engste mit unserer Art zu leben verknüpft ist. Ein bedeutendes Stück davon haben wir entsprechend selbst in der Hand.

Nicht auf Knopfdruck.

Nicht, indem wir den einen Lese- oder Schreibtipp beachten.

Nicht, indem wir den heiligen Gral des Kreativen Schreibens entdecken.

Vielmehr sollten wir auf den unterschiedlichsten Ebenen Sprache bewusst wahrnehmen und unsere Möglichkeiten erweitern, uns ihrer zu bedienen, sprachliche Grenzen ausloten und diese erweitern.

Den Menschen beim Reden zuhören

Es lohnt sich, im Alltag die Ohren zu spitzen. Nicht, um andere zu belauschen, sondern um deren Sprechweise wahrzunehmen, Unterschiede zu bemerken, von gegensätzlichen Sprachniveaus bis zu den feinsten Nuancen.

Damit das gelingt, benötigst du nichts anderes als Aufmerksamkeit.

Gelegenheiten, anderen zuzuhören, bieten sich im Alltag zuhauf. Diese reichen vom Gespräch mit der Kassiererin, über den Plausch mit dem Kollegen bis zum Unbekannten in der U-Bahn, der lautstark in der Öffentlichkeit telefoniert.

Sicherlich ist dabei nicht alles, was du zu hören bekommst, sprachlich interessant. Und selbstverständlich solltest du auch nicht unaufhörlich bei den Äußerungen der Anderen sein. So geriete die Achtsamkeit dir selbst gegenüber in Gefahr.

Doch fokussiere dich immer mal wieder bewusst darauf, wie die Menschen um dich herum reden. Betrachte dies als kleine Übung, um deine sprachliche Sensibilität zu erweitern.

So schärfst du deine Wahrnehmung. Fragen wie diese helfen dir dabei:

  • Was wird gerade gesagt?
  • Was gemeint?
  • Welche Ausdrucksweise fällt auf?
  • Welches Selbstverständnis kommt dabei zum Ausdruck?
  • Welcher Blick auf andere Menschen?
  • Gibt es alterstypische Aspekte der Äußerung?
  • Weisen bestimmte Details auf die soziale oder regionale Herkunft hin?
  • Sind Doppeldeutigkeiten beabsichtigt? Oder treten sie unfreiwillig auf?

Wende diese Methode regelmäßig an und du wirst überrascht sein, wie viele sprachliche Perlen voll Witz, Absurdität oder Zauber dir in der riesigen Menge alltäglicher Äußerungen begegnen.

Schriftliche Botschaften im Alltag

Nicht nur die alltäglichen mündlichen Äußerungen bieten zahllose Gelegenheiten, um dein Sprachgefühl auf die Probe zu stellen und stetig zu erweitern. Auch in allen möglichen schriftlichen Äußerungen, die dir im Alltag begegnen, liegen Impulse für deine persönliche Auseinandersetzung mit Sprache.

Egal ob Werbeslogans im Internet oder politische Botschaften auf Hausfassaden, Gedichte auf Klowänden oder Versprechen auf Wahlplakaten – all dies sind Beispiele dafür, wie Menschen erreicht werden sollen und wie durch sprachliche Äußerungen Wirkungen erzielt oder verfehlt werden.

Achte auf dein Sprachgefühl, wenn dir solche Mikrotexte begegnen. Nimm bewusst wahr, wie die Botschaft auf dich wirkt.

Spricht sie dich, so wie sie beschaffen ist, sprachlich an? Kannst du sagen, woran das liegt? Oder würdest du, wenn es nach deinem Sprachgefühl geht, irgendetwas daran verändern?

Gute Prosa lesen

Was ist eigentlich gute Literatur?

Diese Frage stellen sich Menschen seit Jahrtausenden immer wieder und es gibt unzählige Möglichkeiten, darauf zu antworten. Auch wenn es darum geht, durch die Lektüre dein Sprachgefühl zu erweitern, ist sie relevant.

Doch ebenso wenig wie bei den Inhalten gibt es bei der Sprache von Literatur allgemeingültige Kriterien dafür, was gut oder schlecht ist. Die Antwort muss immer lauten: Es kommt darauf an.

Entscheidend ist, welche Kriterien angelegt werden, ob es also um die rein ästhetische Qualität oder um Unterhaltung geht und – dies an erster Stelle – wer den Text beurteilt.

Diese Hinweise verdeutlichen, dass es an dir ist, deine Lektüre auszuwählen. Achte darauf, welcher Erzählstil dich anspricht, sei es, weil er dich besonders fesselt, belustigt, rührt oder die behandelten Themen ausgezeichnet in sprachliche Bilder übersetzt.

Du kannst nun in der Erzählweise versinken, indem du regelmäßig, konzentriert und ausgiebig die Werke deiner Lieblingsautoren liest.

Du solltest dir dabei auch bewusst machen, was ihre besondere Sprache ausmacht. Wechsle dazu zwischen der Ebene des reinen Lesegenusses und einer analytischen Betrachtungsweise hin und her. Keine Angst – diese sollte dir den Spaß an der Lektüre nicht verderben, sondern ihn letztlich noch intensivieren.

Beschäftigung mit Lyrik

Gedichte bieten dir eine ganz besondere Möglichkeit, dein Sprachgefühl weiterzuentwickeln. Wie der Name schon sagt, werden hier Gefühle, Perspektiven, Gedanken, Weltbilder, Ansichten und vieles mehr auf engstem Raum verdichtet und sprachlich in eine besondere Form gebracht.

Die Bedeutung wird dabei nicht nur durch die Worte und deren Zusammenspiel erzeugt, sondern auch durch deren Klang, den Rhythmus und – noch stärker als in anderen Textformen – die metaphorische und symbolische Dimension.

Die intensive Beschäftigung mit Lyrik ist entsprechend eine wundervolle Möglichkeit, dein Sprachgefühl zu erweitern.

Lies dazu Gedichtbände, finde heraus, welcher Poet dich besonders anspricht und mach dich mit seinem Werk intensiver bekannt. Versuche, deine ersten Eindrücke bewusst wahrzunehmen und in Worte zu fassen. Analysiere daraufhin die sprachliche Machart des Gedichts, also das Reimschema, das Metrum, den Klang, lexikalische und syntaktische Auffälligkeiten, rhetorische Figuren sowie symbolische und metaphorische Bedeutungen.

Gleiche nun deinen intuitiven Eindruck mit den Ergebnissen dieser Analyse ab. Worin fühlst du dich bestätigt? Was ist dir zuvor nicht klar gewesen? Welche Brüche fallen dir auf?

Mach dich schließlich auch selbst daran Gedichte zu schreiben. Wechsle zwischen der Lektüre und dem eigenen Schaffen hin und her und entwickle so dein Sprachgefühl immer weiter.

Schreibratgeber sinnvoll nutzen

Schreibratgeber sind die Pest. Zumindest, wenn du sie auf eine Weise verwendest, die deiner eigenen Kreativität zuwider läuft und du nicht berücksichtigst, was du an Kompetenzen schon mitbringst.

Versprich dir kein Patentrezept für dein Schreiben. Es gibt weder den einen richtigen Schreibstil noch die perfekte Erzählweise oder Struktur, die dir einen Bestseller garantiert. Und auch ein Geheimrezept für mehr Sprachgefühl wirst du nicht finden.

Nutzt du Schreibratgeber jedoch als Werkzeug, um dein Sprachgefühl langfristig zu erweitern, sind sie Gold wert. Neben Klassikern zu gutem Stil (etwa die von Wolf Schneider) und Büchern zum Kreativen Schreiben finden sich auch in einer Vielzahl an Poetikvorlesungen hilfreiche Anregungen für deine Entwicklung.

Erwarte besser keine Veränderungen auf Knopfdruck. Vollziehe die Überlegungen einfach nur nach und probiere die vorgeschlagenen Übungen aus. So fließen die Erfahrungen, die du machst, nach und nach in dein Sprachgefühl ein.

Die Kraft des gesprochenen Worts

Der besondere Stellenwert von Klang und Rhythmus in Gedichten deutet bereits darauf hin: Laut ausgesprochen entfaltet Sprache häufig eine besonders kraftvolle Wirkung. Dieser Umstand lässt sich auch für die Weiterentwicklung deines Sprachgefühls nutzen.

Für Erzähltexte gilt dabei genau so wie für Lyrik: Lautes Vorlesen macht den Klang der Wörter und Sätze erlebbar. So fällt es leichter, den Sprachfluss wirken zu lassen, sowie gewollte oder ungewollte Auffälligkeiten und Unregelmäßigkeiten wahrzunehmen.

Auch gut eingesprochene Hörbücher eignen sich hierzu vorzüglich. Besondere Erzählstile und eine ausgefallene Ausdrucksweise kommen so häufig erst richtig zur Geltung.

Wozu brauche ich Sprachgefühl?

Dass du als Autor ganz ohne Sprachgefühl nicht weit kommst, liegt auf der Hand. Allerdings haben die bisherigen Ausführungen deutlich gemacht, dass jeder Mensch darüber verfügt. Denn sprachliche Äußerungen sind ohne Sprachgefühl gar nicht denkbar.

Es handelt sich nicht um eine Sache, die zu unseren sprachlichen Fähigkeiten noch hinzu kommt. Die Entwicklung des Sprachgefühls beginnt bereits mit der Geburt. Studien zeigen, dass Menschen bereits am ersten Tag ihres Lebens sprachliche Äußerungen von anderen Lauten unterscheiden können.v

Braucht dich das Thema Sprachgefühl als Autor also überhaupt zu kümmern? Oder handelt es sich um etwas, das du automatisch besitzt?

Ob du über Sprachgefühl verfügst, ist nicht die Frage. Entscheidend ist, wie ausgeprägt es ist, und an welcher Stelle es dich verlässt.

Stell es dir am besten als einen unsichtbaren, fliegenden Teppich vor. Dieser lässt dich mit deinen Texten ungeahnte Höhenflüge antreten – oder brutal abzustürzen, wenn der Auftrieb wegbricht.

Sprachgefühl entwickeln ist also die Basis, um dein Kerngeschäft als Autor – das Schreiben – erfolgreich zu betreiben. Es kommt in den unterschiedlichsten Phasen und auf den unterschiedlichen Ebenen des Schreibens zum Einsatz. Die folgenden Beispiele zeigen, wie du es als Autor konkret für dich nutzt.

Dein einzigartiger Schreibstil

Was macht das Besondere an einem Buch aus? Je nachdem, ob es sich um ein Sachbuch, einen Erzählband oder einen Roman handelt, fällt die Antwort unterschiedlich aus. Und natürlich kommt es immer auf das konkrete Werk an.

Manchmal ist es die ganz besondere Thematik, manchmal die Perspektive, häufig die fesselnde Story oder eine faszinierende Figur, welche die Leser interessiert. Doch kaum ein Werk bleibt diesen wirklich im Gedächtnis, wenn es nicht auch auf ganz besondere, einzigartige Weise geschrieben ist.

Um einen individuellen Schreibstil zu entwickeln, benötigst du Sprachgefühl. Ohne geht es nicht. Denn Schreiben ist ein kreativer Prozess. Nicht jede Wendung, nicht jede Finesse des Satzbaus lässt sich durch angestrengtes Nachdenken beim Überarbeiten erreichen.

Gefragt ist vielmehr Intuition.

Studiere die Bücher deiner Lieblingsautoren. Vertiefe dich in ihre Schreibweise. Dann klapp sie wieder zu und versuche, ihren Stil zu imitieren, bis er dir in Fleisch und Blut übergeht. Wenn du den Dreh raus hast, nimm auch davon wieder Abstand. Das, was zu dir und deinem Schreiben passt, ist nun ein Teil deines Repertoires.

Achte sowohl beim Schreiben als auch beim Überarbeiten auf dein Bauchgefühl.

  • Welche Sätze bringen den Geist deines Manuskripts auf den Punkt?
  • Bei welchen fühlst du dich unwohl?
  • An welcher Stelle ist der Erzählfluss noch nicht ganz rund?

Dein Sprachgefühl dient hierbei als eine Art innerer Kompass. Nimm es ernst und achte darauf, wann er wohin ausschlägt. So entwickelst du, mit seiner Hilfe, deinen einzigartigen Stil.

Bessere Dialoge schreiben

Gute Dialoge leben davon, dass die wörtliche Rede authentisch wirkt. Achte einmal bewusst darauf, wie häufig wir in Gesprächen angefangene Aussagen abbrechen, von der einen zur anderen Sache springen und keine vollständigen Sätze formulieren. Wie gestelzt wirkt es da, wenn deine Figuren parlieren, als wären sie Sprecher bei der Tagesschau.

Ein gutes Sprachgefühl hilft dir dabei, eine passende Sprechweise für jede einzelne Figur zu wählen. Gute Dialoge schreiben bedeutet, deine Charaktere so sprechen zu lassen, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist oder wie er ihnen anerzogen wurde. Die Art und Weise sich auszudrücken kann Aufschluss über die Herkunft und den Charakter geben.

Übertreibe es jedoch nicht.

Es geht keinesfalls darum, dass du unsere sprachlich defizitären Unterhaltungen aus dem Alltag eins zu eins in deinen Roman übernimmst.

Geh lieber fein dosiert vor und denke dabei immer auch an das Leseerleben. Finde ein Gleichgewicht zwischen der Besonderheit deiner Figurenrede und dem Lesefluss. Auch hierbei wird dir dein Sprachgefühl helfen.

Subtilere, treffendere Figurenbeschreibungen

Stell dir vor, du hast eine literarische Figur entwickelt, von der du ganz und gar überzeugt bist. Du weißt, wie sie ihre Kindheit verbracht hat, was ihre größten Wünsche und Ängste sind und wovon sie nachts träumt. Du kennst sie also besser als dich selbst. Und das möchtest du natürlich auch deinem Leser vermitteln.

Lebendige Figuren sind eine Grundvoraussetzung für fesselnde Geschichten. Doch allzu oft tappen wir hier eine Falle. Nur weil wir alles über unseren Protagonisten wissen, heißt das noch lange nicht, dass wir auch alles davon in der Geschichte erwähnen müssen. Allzu schnell entsteht sonst die Gefahr des so genannten Infodumps: Du erzählst etwas bloß, weil der Leser es wissen soll.

Dein Sprachgefühl hilft dir dabei, deine Figuren auf implizite Weise zur Geltung zu bringen. Wenn du eine Geschichte oder einen Roman schreibst, geht es nicht darum, dem Leser alles mitzuteilen, was du weißt. Vielmehr solltest du ihm ein Gefühl für deine Figuren und die Geschichte vermitteln.

  • Welche Ausdrucksweisen sind typisch für deinen Helden?
  • Welche Sprichwörter lassen sich auf ihn anwenden?
  • Durch welche rhetorischen Figuren kannst du seine Charaktereigenschaften auf den Punkt bringen?

Solche und ähnliche Fragen solltest du dir beim Schreiben stellen. Mit einer guten Portion Sprachgefühl wird es dir gelingen, passende Antworten darauf zu finden.

Schreiben für Zielgruppen

Auch wenn du erfolgreich für eine konkrete Zielgruppe schreiben willst, bist du auf dein Sprachgefühl angewiesen. Das gilt für Sachtexte wie für literarische Texte gleichermaßen.

Frag dich immerzu:

  • Wie ticken deine Leser?
  • Mit welchen Worten erreichst du sie?
  • Welches Sprachniveau ist angemessen?

Stellen wir uns vor, du schreibst einen Blog zu Finanzfragen und deine Zielgruppe besteht aus Studenten der Betriebswirtschaftslehre. Eine besonders blumige Sprache wird diese wohl eher nicht zu treuen Lesern machen.

Oder möchtest du in feinster Stephen-King-Manier Horrorromane schreiben? All zu viel Sprachakrobatik und Neologismen vom Feinsten werden dich sicherlich nicht zum Erfolg führen.

Ganz anders sieht es aus, wenn du voll auf Lyrik setzt und die Sprache mit deinen Versen neu erfinden möchtest. Dein Zielpublikum besteht vor allem aus den Jurys der angesagtesten Literaturpreise. Mit Hilfe deines Sprachgefühls bohrst du in immer tiefere Schichten unserer poetischen Tradition, kombinierst diese mit aktuellen Trends und erschaffst eine nie da gewesene Sprachkunst.

Du siehst: Die Anwendungsbereiche unterscheiden sich. Doch deinem Sprachgefühl kommt in jedem Fall eine wichtige Bedeutung zu.

Dein ganz persönliches Sprachgefühl

Kein Sprachgefühl eines einzelnen Menschen gleicht dem eines anderen vollkommen. Dieses Bewusstsein hilft dir nicht nur dabei, seine Beschaffenheit und Wandlungsfähigkeit besser zu verstehen. Es bildet auch die Basis, um in den fruchtbaren Austausch mit anderen Autoren zu gehen.

Dein Sprachgefühl als Produkt deiner Prägungen

Mit der Einzigartigkeit des Sprachgefühls jedes einzelnen Menschen geht keinesfalls Beliebigkeit einher, im Gegenteil. Wie der Einzelne eine sprachliche Äußerung empfindet, ist aufs Engste mit seiner eigenen Geschichte verknüpft, mit den Sprachräumen, in denen er sich bisher bewegt hat und mit den Erfahrungen, die er im Umgang mit Sprache machen konnte.

Daraus entsteht dein persönliches Sprachgefühl. Es hilft dir dabei, einen ganz eigenen Schreibstil zu entwickeln, der deine Texte und Bücher auszeichnet.

Kulturelle und regionale Prägungen beeinflussen massiv, welche Äußerung du als gerade noch sprachlich korrekt oder nicht mehr korrekt empfindest. Sie prägen dein Gespür für Sprachniveaus und bestimmen den Standpunkt, von dem aus du diese betrachtest. Wo genau du aufwächst und welcher sozialen Schicht du zugehörst, hat also massiven Einfluss darauf, was für dich normal ist, was hochgestochen, was grammatisch, was ungrammatisch und so weiter.

Das Sprachgefühl im Wandel

Dein Sprachgefühl ist keineswegs unveränderlich. Wie oben beschrieben, kannst du es aktiv weiterentwickeln oder vernachlässigen, es ist jedoch auch von Trends und Entwicklungen beeinflusst, die außerhalb deiner Person liegen.

So unterscheidet sich nicht nur von Generation zu Generation, welche Äußerungen wie empfunden werden, und von Person zu Person. Auch die Unterschiede zwischen den Lebensphasen ein und derselben Person sind entscheidend. Deine sich wandelnden Lebens-, Lese- und Hörgewohnheiten können diese Veränderungen sowohl mit bewirken als auch widerspiegeln.

Im Austausch mit anderen

Beim Sprachgefühl handelt es sich also um eine höchst individuelle Angelegenheit. Dies bedeutet jedoch keinesfalls, dass es dich von anderen Menschen trennt.

Im Gegenteil.

Im Austausch über unterschiedliches sprachliches Empfinden, etwa in Schreibgruppen, Schreibseminaren oder im Schreibcoaching liegt eine ausgezeichnete Möglichkeit, um dein eigenes Schreiben voranzubringen. Dafür brauchst du Ideen, Handwerkszeug und Disziplin – aber eben auch ganz viel Gefühl.

Und wie entwickelst du dein Sprachgefühl weiter?

Literatur

i Vgl. https://www.duden.de/rechtschreibung/Sprachgefuehl (besucht am 13.5.2021)

ii Vgl. Ball, Hugo: „Seepferdchen und Flusspferde“ in Klaus Peter Dencker (Hsg.): Poetische Sprachspiele. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Reclam, Stuttgart 2002, S. 140.

iiiVgl. hierzu die fünf Axiome nach Watzlawick: https://www.paulwatzlawick.de/axiome.html (besucht am 13.5.2021)

ivVgl. hierzu Schulz von Thun, Friedemann: Miteinander reden 1. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1981

vhttps://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1878929319300301?via%3Dihub (besucht am 13.5.2021)

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