Viele (werdende) Autoren träumend davon, einmal einen Bestseller zu schreiben. Doch was macht einen Bestseller eigentlich aus? Weshalb verkauft sich das eine Buch millionenfach, während das andere in den Regalen versauert oder noch nicht einmal in die Buchhandlungen gelangt?
Jörg Magenau versucht, den überwältigenden Erfolg einzelner Bücher seit dem Ende des II. Weltkriegs zu erklären und damit auch deren Leser besser zu verstehen. Für Autoren liegen hier wertvolle Einsichten bereit, wie Bestseller entstehen.
Bestseller als kulturhistorisches Anschauungsmaterial
Eine Grundidee zieht sich durch dieses Werk: der Erfolg von Bestsellern ist nur unter Einbeziehung ihrer jeweiligen Zeit zu begreifen. Es geht in dieser Analyse nur an zweiter Stelle darum, etwas über die Machart erfolgreicher Bücher im Allgemeinen herauszufinden. In erster Linie werden Bestseller als Ausdruck des Zeitgeistes betrachtet. Allerdings können sie dies auf ganz unterschiedliche Weise sein.
Flucht in ferne Zeiten
In der Nachkriegszeit wurde der Roman der Archäologie Götter, Gräber und Gelehrte zu einem großen Erfolg. Nur auf den ersten Blick erscheint diese Hinwendung in vergangene Epochen skurril. Auf überzeugende Weise analysiert Magenau, dass nur durch die Flucht in die ferne Vergangenheit eine Auseinandersetzung mit den traumatischen Geschehnissen der Kriegsjahre möglich wurde.
Inwiefern ein Bestseller als Ausdruck eines bestimmten Zeitgeistes zu verstehen ist, ist also nicht immer ganz einfach zu verstehen. Vielmehr spielen hier häufig Muster eine Rolle, die manchmal erst auf den zweiten Blick erkennbar werden.
Gegenwelten entwerfen
In den 80er Jahren beobachtet Magenau ein ähnliches Phänomen wie in der Nachkriegszeit. Aus einem zeitgeschichtlichen Bedürfnis heraus begeben sich Leser in Gegenwelten, anstatt sich direkt mit den aktuellen Problemen auseinanderzusetzen.
Die Konjunktur phantastischer Romanen zeigt hier eine interessante Doppelbewegung auf: Indem etwa die Leser von Die unendliche Geschichte Bastian in das ferne Phantásien folgen, setzen sie sich auf allegorische Weise sehr wohl mit der Realität auseinander.
Widersprüche vereinen
Anhand des unglaublichen Erfolgs von E.L. James Shades of Grey verdeutlicht Magenau, wie nach wie vor Bestseller Bedürfnisse ihrer Zeit aufgreifen. Wie lässt sich der Erfolg einer Geschichte im 21. Jahrhundert erklären, in der ein dominanter, männlicher Antiheld eine Frau sexuell dominiert?
Die Möglichkeit von Literatur, widersprüchliche Bedürfnisse miteinander in Einklang zu bringen – Emanzipation einerseits und die Lust nach Dominanz im erotischen Bereich andererseits – bedient auch hier eine Nachfrage, die sich aus bestimmten gesellschaftlichen Entwicklungen ergibt.
Aspekte mit Bestsellerpotential
Neben den kulturhistorischen Erklärungen finden sich in dieser Analyse immer wieder aufschlussreiche Punkte, die uns helfen, den Erfolg von Bestsellern im Allgemeinen besser zu verstehen. Auch wenn sich diese Aspekte nicht zu einer Art Patenrezept zusammenfügen lassen, bergen sie an der einen oder anderen Stelle wertvolle Anregungen für Autoren. Die folgenden drei Beispiele verdeutlichen dies.
Wiederholung und doch ganz neu
Erfolgreiche Bücher greifen häufig Muster anderer erfolgreicher Bücher auf. Dennoch tun sie dies auf ganz eigene Weise. Des Weiteren finden sich häufig Wiederholungsstrukturen innerhalb der einzelnen Werke. Der Variantenreichtum hält das Interesse und die Spannung aufrecht, während der Leser zugleich Halt und Orientierung findet.
Geschichten über das Lesen
Ein Phänomen, das sich in den unterschiedlichen Zeiten immer wieder findet, ist der Erfolg von Geschichten über das Lesen. Man denke nur an Der Vorleser von Bernhard Schlink, an Sofies Welt oder an Die Unendliche Geschichte. Hier werden wir im selben Moment zu Subjekt und Objekt, treten selbst in das Zentrum des Interesses – ein Umstand, der immer noch Potential hat.
Der körperlich schwache Held
In erfolgreichen Büchern begegnen uns immer wieder ähnliche Figuren. Anhand des körperlich schwachen Helden, der seine Defizite durch Genialität kompensiert, exemplifiziert dies der Autor. Diese Eigenschaft verbindet zum Beispiel den Protagonisten in dem Roman Das Parfum mit den Philosophen in dem ansonsten vollkommen anderen Sachbuch Wer bin ich – und wenn ja wie viele.
Der Bestseller: ein komplexes Phänomen
Viele Faktoren gehören dazu, damit ein Roman ein Bestseller wird. Die Komplexität dieses Geschehens verdeutlicht dieses Buch auf eindrückliche Weise.
Häufig passt alles zusammen: der Verlag, das Cover, der Titel, der Ruf des Autors und seine bisherige Bekanntheit. Selbst die Preisgestaltung hat einen nicht zu unterschätzenden Einfluss darauf, ob ein Buch mit Potential am Ende tatsächlich ein Bestseller wird oder nicht.
Und doch: Der Erfolg lässt sich nur bedingt steuern. Dessen Geschichte ist bei jedem Buch individuell und häufig überraschend.
Diese Historie der Bestseller lässt uns über das Einzelphänomen Bestseller hinaus Zusammenhänge zwischen den einzelnen Werken erleben. Wir verstehen, wie es den wirklich erfolgreichen Büchern gelingt, die größten Ängste, Sehnsüchte und Bedürfnisse der Leser aufgreifen. Und wir dürfen uns motiviert fühlen, ihnen nachzueifern.
Bestseller. Bücher, die wir liebten – und was sie über uns verraten von Jörg Magenau ist bei Hoffmann und Campe erschienen und für 22,- Euro erhältlich.
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