Ein Märchen schreiben – so geht es!

Du willst ein Märchen schreiben – doch wie sollst du vorgehen? Erinnerst du dich an das Märchen von den sieben Zwergen oder an Rumpelstilzchen? Oder an die langen Haare von Rapunzel? Wie war das doch gleich mit der Prinzessin und die Erbse? Mit welchem Trick vertreiben Esel, Hund, Katze und Hahn die Räuber? Keine Ahnung?

Fragst du dich, was diese alten Kamellen dir für dein Schreiben heute noch bringen?  Ganz schön viel! In ihnen steckt die zeitlose Macht der Märchen! Nutze sie jetzt für deine Geschichten und schreibe dein eigenes modernes Märchen! Such dir ein Märchen aus!

Inspiration durch vorhandene Märchen

Grimms Märchen

Die kurzen Geschichten, z.B. gesammelt in Grimms Hausmärchen, bieten eine wunderbare Hilfe, wenn du gerade auf der Suche nach einem Thema für deine Geschichte bist.

Erinnere dich einmal an die Märchen deiner Kindheit. Blätter das Inhaltsverzeichnis durch, lies nach, wenn du dich nicht mehr richtig erinnerst. Such dir dann eine Geschichte aus, die dich besonders fesselt.

Was fasziniert dich?

Vielleicht fandest du es immer schon beeindruckend oder komisch, wie Hänsel und Gretel die böse Hexe im Ofen beseitigen, nachdem die Lage bereits hoffnungslos scheint? Oder fasziniert dich das kleine, wilde Männchen, das über das Feuer hüpft, und seine teuflischen Pläne herausschreit, das Kind der Königin zu entführen? Vielleicht hat auch die Geschichte von Rotkäppchen, das nichts Böses ahnend bei seiner Großmutter ankommt und dem verkleideten Wolf gegenüber steht, ihren Reiz?

Such dir ein Märchen aus, das dir gefällt. Lies es dir dann noch einmal ganz genau durch! Nimm die Handlung in dich auf und spüre in dir, was dich genau daran bewegt…

Vom Märchen lesen zum Märchen schreiben

Möchtest du die wichtigsten Aspekte im Überblick, um dein eigenes Märchen zu schreiben?

Hol dir das Worksheet als PDF: Ein Märchen schreiben Arbeitsblatt – so geht es!

Bewährte Strukturen von Märchen

Die erwähnten Märchen und viele andere helfen dir beim Schreiben. Sie weisen eine Struktur auf, die einfach ist und doch eine ungemeine Wirkung entfaltet. Das liegt daran, dass sie tief mit der menschlichen Erzähltradition verknüpft ist.

Über tausende von Jahren haben sich bestimmte Erzählmuster in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt. Wenn wir nun eine Geschichte hören, die nach ihnen gestrickt ist, erscheint uns die Handlung plausibel und wir fiebern mit dem Helden mit.

Kurz: die Geschichte funktioniert!

Märchen schreiben – Aus alt mach neu!

Damit dein modernes Märchen nicht langweilig wird, ist es wichtig, dass Neues, Überraschendes passiert und dass es von den Figuren her besonders gestaltet ist.

Auch jedes traditionelle Märchen ist anders und doch liegt den meisten eine ähnliche Struktur zu Grunde.
Du kannst die Macht typischer Erzählmuster für dein eigenes Schreiben nutzen. Dazu musst du erst verstehen, worin sich die meisten Märchen ähneln. So kannst du ihr Grundprinzip im nächsten Schritt anwenden. Hier ist dann deine Kreativität gefragt, um das Grundmuster mit deinen eigenen Ideen zu ergänzen. So knüpfst du an die Tradition menschlichen Erzählens an und erschaffst zugleich etwas Neues.

Typische Eigenschaften von Märchen

Nehmen wir als Beispiel die Geschichte von Rotkäppchen, eines der bekanntesten Märchen. Welche typischen Eigenschaften eines Märchens treten hier auf?

  • Meist gibt es im Märchen eine klare Trennung zwischen gut und böse. Rotkäppchen und ihre Großmutter sind eindeutig dem Guten, der Wolf dem Bösen zuzuordnen.
  • Es gibt meist einen einzigen Haupthelden, mit dem wir sympathisieren. In unserem Fall ist das Rotkäppchen, die wir auf ihrem Weg begleiten.
  • Häufig gibt es mindestens ein unerklärliches, magisches Element in Märchen. In Rotkäppchen spielt dies nicht so eine große Rolle wie in manch einem anderen Märchen. Dennoch lassen sich sprechende Wölfe durchaus der Welt der Magie zuordnen und üblicherweise ist es auch nicht möglich, aus dem Bauch eines Wolfes befreit zu werden.
  • Üblicherweise wird die Hauptfigur vor Herausforderungen oder Probleme gestellt. Bei Rotkäppchen liegt dies in der Begegnung mit dem Bösen und in dem Versuch des bösen Wolfes, sie zu täuschen. In diesem Zusammenhang liegt auch eine meist charakterliche Schwäche des Helden vor. So wird Rotkäppchen ermahnt, auf ihrem Weg zur kranken Großmutter, der sie Wein und Kuchen bringen soll, nicht abzuschweifen. Doch Rotkäppchen lässt sich vom Wolf auf Abwege locken und bringt so die Großmutter und sich selbst in Gefahr.
  • Meist spitzt sich die Lage immer mehr zu. So bemächtigt sich der Wolf erst der Großmutter und frisst sie auf. Als Großmutter verkleidet erwartet er Rotkäppchen, die dieser List erliegt und am Ende auch gefressen wird.
  • Am Ende läuft ein Jäger am Haus vorbei und bringt im letzten Moment die ersehnt Rettung – auch dies ein typisches Element.

 

Ein modernes Märchen schreiben – zum Beispiel: „Rotkäppchen in New York“

Wie können wir nun die typischen Merkmale eines Märchens für unser eigenes Schreiben nutzen? Am besten, indem wir von einem bekannten Märchen ausgehen und es nach Belieben modifizieren. Wir bleiben einmal bei unserem Beispiel Rotkäppchen und versuchen uns an einer modernen Version. Die geht wie folgt:

Rotkäppchen in New York

Rosa, eine attraktive junge Frau, soll in Kürze Ihr Auslandsstudium in den USA beginnen. Sie ist hochbegabt und hat ein Stipendium bekommen. Nun soll sie auf direktem Weg zu ihrem Ziel, einer Uni in New York, reisen. Sie kommt aus ärmlichen Verhältnissen und ihre Mutter hat sie ermahnt, diese Chance nicht zu vertun und vor allem nicht allen zu trauen, denn Rosa ist trotz ihres Intellekts ein leichtgläubiger Mensch.
Beim Umsteigen auf dem Flughafen begegnet sie Ron, einem windigen Typen. Der lädt sie auf einen Drink ein und dann auf noch einen. Ein wenig Unterhaltung kann ja nicht schaden, denkt sie sich. Doch durch seine ausgefuchsten Flirt-Techniken gelingt es Ron schließlich sie zu überreden, einen Abend mit seinen Freunden zu feiern. Die Party eskaliert und am nächsten Morgen verpasst Rosa ihren Weiterflug. Wieder nüchtern wacht sie in ihrem Erbrochenen neben einem ihr unbekannten Mann auf. Sie bereut, was passiert ist, nimmt die erste Stipendiumsrate, die für das Leben in New York gedacht war, und bucht damit einen Weiterflug.

Als sie dann endlich ankommt und beginnt zu studieren, scheint alles wieder in geregelten Bahnen zu verlaufen. Sie lernt auch schon bald neue Leute kennen, z.B. Mary, die schon länger studiert. Erst ist sie ein wenig skeptisch bei der neuen Freundin und zurückhaltend, da sie so anders ist als ihre Freundinnen aus Deutschland.

Doch nach und nach fasst sie Vertrauen, die beiden lernen zusammen und gehen danach mit Freunden aus. Nach und nach dreht sich das Leben immer weniger ums Lernen und immer mehr um die Partys danach. Schon bald ist das erste Semester vorbei und Rosa versinkt in einem Sumpf aus Alkohol, Drogen und nichtssagenden Affären. Im zweiten Semester geht sie kaum noch zur Uni. In einem der wenigen Seminare, die sie noch ab und zu besucht, wird ihr neuer Dozent auf sie aufmerksam. Er ruft sie zu sich und motiviert sie dazu, wieder mit mehr Energie zu studieren. Nach und nach gelingt es ihm, sie aus dem Sumpf zu ziehen und langsam entdeckt sie wieder die Freude am Lernen. Zwischen dem Dozenten und Rosa entspinnt sich…

STOP! Bevor das Ganze zu kitschig endet brechen wir ab und stellen die entscheidende Frage:

Was hat das bitte noch mit Rotkäppchen zu tun?

Balance zwischen Vorlage und eigener Idee

Einerseits geht der Plot sehr stark auf die Vorlage zurück, andererseits entsteht eine ganz eigene Geschichte.

Das Ziel von Rosa ist, anders als im Märchen, nicht das Haus der Großmutter, sondern eine gute Universitätsbildung als sichere Investition in die Zukunft. Kein Wolf lockt die junge Frau auf Abwege, dafür aber Ron. Und ebenso wie Rotkäppchen nicht auf ihre Mutter hört, lässt sich auch Rosa von ihrer Schwäche mitreißen. Als die junge Frau dann doch New York erreicht, hat sich das Böse zwar nicht als Großmutter verkleidet, dafür jedoch als Studienkollegin Mary, die Rosa auf die schiefe Bahn zieht. Und die Rettung erscheint schließlich nicht in Form eines Jägers, sondern in Form eines Uni-Dozenten. Doch ähnlich wie Rotkäppchen wird auch Rosa aus einer beinahe aussichtslosen Lage befreit – und am Ende wird alles gut.

Ein modernes Märchen schreiben – so geht es:

Das Schreiben eines modernen Märchens vor dem Hintergrund einer traditionellen Vorlage gleicht einem Spiel zwischen Nähe und Distanz. Wir können uns an die Überlieferung anlehnen und doch aus jedem Element etwas ganz Eigenes formen. Das ist natürlich durchaus herausfordernd. Deshalb lohnt es sich, einige Aspekte zu berücksichtigen. Dies lässt sich anhand der einzelnen Aspekte erläutern:

1. Ort und Zeit müssen nicht die selben sein

Der Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. Versetze die Handlung ins Mittelalter, ins Jahr 3000 oder in die Gegenwart.

Wechsel ein Märchenschloss mit einer Traumvilla aus.

Verwandle ein Hexenhäuschen in die Fabrik eines skrupellosen Kapitalisten.

Orte aus Märchen lassen sich für deine eigene Geschichte auch wunderbar symbolisch verstehen. In unserer Rotkäppchen-Version haben wir so das Haus der Großmutter als sichere Zone in das Gut Bildung verwandelt. Den unheimlichen Wald haben wir allgemein als Durchgangsort begriffen. Das Bedrohliche an ihm ist, dass er den Helden auf Abwege zu führen.

2. Das Innere der Figuren zählt

Wenn wir uns von Märchenfiguren inspirieren lassen, ist das Wichtigste deren Charakter. Wir sollten uns weniger auf die Äußerlichkeiten fokussieren, sondern eher darauf, was ihr Innerstes ausmacht. Wofür steht Rotkäppchen und wofür der Wolf? Eine Antwort auf diese Frage ist entscheidend, um deren Eigenschaften für unsere eigene Geschichte nutzen zu können.

Der Wolf im Märchen das Böse in Person. Es lockt die Menschen auf Abwege und versucht, sie durch arglistige Täuschung zu vernichten.

In unserer Märchenadaption haben wir daraus einerseits Ron, andererseits Mary und die Drogen gemacht. Auch die Anzahl der Figuren muss also nicht identisch bleiben. Ein Charakterzug lässt sich sogar auf mehrere Figuren verteilen. Ebenso ließen sich die Eigenschaften unterschiedlicher Figuren in nur einer Figur zusammenfassen.

3. Das Muster ist entscheidend

Ebenso wenig wie an den Orten oder an den Figuren müssen wir an der genauen Handlung des Märchens festhalten, an dem wir uns orientieren. So möchte das Böse in unserer Rotkäppchen-Version die Heldin nicht fressen und auch nicht deren Großmutter. Es muss auch keiner aus dem Bauch eines Wolfs geschnitten werden, um gerettet zu retten.

Statt diese Details zu übernehmen, bietet sich hier viel Raum für eigene Ideen. Woran wir uns allerdings halten sollten, zumindest im Groben, sind die Handlungsmuster der Geschichte. In ihnen steckt die eigentliche Kraft des Erzählens.

In unserem Beispiel sieht das in etwa wie folgt aus: Ein unschuldiges Wesen möchte an sein Ziel gelangen und muss dazu einen unsicheren Bereich durchqueren. Als es an seinem vermeintlichen Ziel angelangt ist, wird es getäuscht und gelangt erneut in die Fänge des Bösen. Im letzten Moment erscheint ein Retter, der es befreit.
Soweit das Erzählgerüst der Geschichte, das einfach wunderbar funktioniert. In unserer Geschichte reichern wir es nun mit all den Ideen an, die uns in den Sinn kommen, verleihen ihm dadurch einen neuen Anstrich und schaffen ein wirklich modernes Märchen.

4. Nutze Märchen als Inspiration, nicht als Gefängnis

Wir wollen unser eigenes Märchen schreiben, nicht einfach nur kopieren, was es schon gibt. Die hier vorgestellte moderne Version von Rotkäppchen soll demonstrieren, wie es glücken kann, die Kraft der Märchen zu nutzen, und zugleich zu einer eigenen Geschichte zu kommen.

Wichtig ist, dass wir das Angebot erkennen, das in den Erzählmustern der Vorlage liegt. Zugleich sollten wir uns frei darin fühlen, diese flexibel zu gestalten.

Keiner schreibt uns vor, dass Rosa am Ende tatsächlich gerettet wird. Wir können in ganz unterschiedliche Richtungen weitererzählen.

Vielleicht kommt sie mit ihrem Uni-Dozenten zusammen und am Ende haben wir ein romantisches Happy-End. Vielleicht kann aber auch er sie nicht retten und sie versinkt ganz im Drogensumpf und geht ihrem Untergang entgegen.

Der Freiheit sind also keine Grenzen gesetzt!

Märchen schreiben und deine eigene Geschichte schreiben

Nimm ein Märchen, das dir interessant erscheint, und wandle es nach Belieben um in deine Geschichte. Beruhigend daran ist, dass der Plot und die Figurenbeziehungen garantiert funktionieren. Zugleich kannst du die Figuren, die Orte und den genauen Handlungsverlauf modifizieren, wie du möchtest.

Du kannst dich auch an anderen Genres orientieren. Wieso nicht einmal eine Kurzgeschichte schreiben und zugleich ein paar typische Eigenschaften eines Märchens einfließen lassen? Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt!

Poste deine Ideen zu modernen Märchen oder Links zu deinen Texten in den Kommentaren!

8 Kommentare, sei der nächste!

    1. Wow, vielen Dank für deine tollen Geschichten. Besonders schön, da gerade passend: „Der alte Kauz und die vergessenen Ostereier“ https://katharinakraemer1.wordpress.com/der-alte-kauz-und-die-vergessenen-ostereier-2/
      Vielen Dank auch für deinen schönen Kommentar zum Schreiben auf deiner Vorstellungsseite: „Mit Liebe gekocht hat noch jedem geschmeckt. Die anderen sollen zur Konkurrenz gehen, vielleicht stimmt da das Rezept.“ Super!

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