Die Schriftsteller-Eigenschaft: Hast du sie oder nicht?

Nicht jeder hat das Zeug zum Schriftsteller. Doch welche Eigenschaften gehören unbedingt dazu?

Der berühmte japanische Autor Haruki Murakami hat darauf eine so einfache wie verstörende Antwort gegeben. Sie hilft dir dabei, dein eigenes Schreiben besser zu verstehen.

Hast du sie, die Schriftsteller-Eigenschaft, von der er raunt?

Theorie in Form von Geschichten

Ich habe mich dazu entschieden, einmal kein Buch in die Hand zu nehmen, sondern Murakamis Ausführungen als Hörbuch herunterzuladen. Das Besondere daran: Murakamis herausragende Art, theoretische Überlegungen anhand von Geschichten zu entwickeln, lässt sich so besonders genießen. Egal, wo du dich gerade befindest – in der Bahn, auf dem Weg zur Arbeit oder Abends in der Badewanne – so ziemlich jeder Ort wird dabei zum Lagerfeuer, an dem du sitzt und dem großen Geschichtenerzähler lauscht.

Was hat er dabei über das Roman-Schreiben zu sagen?

Und was macht für ihn einen Schriftsteller aus?

Die Romankunst und andere Künste

Um zu begreifen, was Murakami unter dem Roman-Schreiben versteht, hilft ein Blick auf sein Verständnis anderer Künste. Egal, ob es ums Singen, Tanzen oder Malen geht. In allen Bereichen gebe es bestimmte Regeln, die es zu erlernen gilt, um die Kunst ausführen zu können.

Damit erklärt sich Murakami seine Beobachtung, dass Neulinge in so vielen Künsten kritisch beäugt würden. Beim Roman-Schreiben hingegen sei dem nicht so. Hier würden Neulinge von altgedienten Autoren sogar herzlich willkommen geheißen oder zumindest nicht weiter beachtet.

Murakami erklärt sich dies damit, dass jeder einen Roman schreiben könne, da jeder in der Lage sei, eine Geschichte zu erzählen. Zudem gebe es im Literaturbetrieb keine direkten Verdrängungsmechanismen wie in anderen Bereichen.

Bis hierher lässt sich die Schreibkunst also vor allem aus dem heraus verstehen, was sie nicht ist.

Doch was ist sie?

Autoren und Autoren

Nach Murakanis Vorstellung gibt es ganz unterschiedliche Romanautoren. Doch nicht alle von ihnen scheint er tatsächlich als Schriftsteller zu betrachten. Es gibt viele Menschen, die Bücher schreiben, ohne dass er sie gleich als Schriftsteller ansieht.

Er unterscheidet zwischen denjenigen, die ein, zwei Romane schreiben und denjenigen, die sich dauerhaft behaupten. So einfach es seiner Meinung nach ist, überhaupt einen Roman zu schreiben (zumindest verglichen mit der Betätigung in anderen Künsten), so schwierig ist es, einen Roman nach dem anderen zu Papier zu bringen. Und genau aus dieser Besonderheit leitet er sein Verständnis davon ab, was einen Schriftsteller ausmacht.

Worin besteht sie also, die Schriftsteller-Eigenschaft?

Besondere Zeitgenossen

Für Murakami gibt es unterschiedliche Typen von Menschen und nur zu manchen von ihnen passt es, Romane zu schreiben. Dies bedeutet nicht, dass nur diese es versuchen. Doch nur sie sind in der Lage, wirklich dauerhaft dabei zu bleiben.

Woran liegt das?

Ordnet man Menschen anhand der Schnelligkeit ihrer Auffassungsgabe an, so finden sich nach Murakami die Schriftsteller nicht unter den schnellsten. Im Gegenteil: Murakami scheint Schriftsteller sogar für äußerst begriffsstutzige Zeitgenossen zu halten.

Und genau aus diesem Umstand heraus leitet er das ab, was er für die eigentliche Eigenschaft eines Schriftstellers hält: Die Beharrlichkeit.

Um Romane schreiben zu können, darfst du demnach vor allem nicht zu schnell aufgeben. Du musst dranbleiben, um dein Schreiben weiterzuentwickeln. Nach Murakami ist dies nur dem wahren Schriftsteller möglich.

Finde heraus, ob du sie hast

Weshalb wenden sich so viele Autoren nach ein paar Romanen wieder von der Schriftstellerei ab?

Murakami meint, viele seien enttäuscht und hätten sich vom Roman-Schreiben etwas anderes versprochen.

Das Schreiben von Romanen sei nämlich vollkommen uneffektiv. Jene, die sich bei neuen Erfahrungen schnell ein Urteil bilden und für gewöhnlich bei diesem bleiben, böten Romane somit kein befriedigendes Betätigungsfeld.

Murakamis Erklärung: Beim Roman-Schreiben fassen wir die Themen, Probleme und Fragen des Lebens in Geschichten. Doch das, was dabei herauskommt, ist alles andere als eine klare Antwort. Vielmehr wirft ein jeder Roman neue Fragen auf, lässt seinen Verfasser zu tieferen Schichten seiner Lebensthemen gelangen, die er daraufhin wieder anhand neuer Geschichten bearbeiten kann.

Wie findest du nun heraus, ob das etwas für dich ist?

Ob wohl in dir ein wahrer Schriftsteller steckt und nicht bloß ein Autor auf Zeit?

Um das herauszufinden, gibt es nach Murakamis Ansicht nur einen Weg: Du musst ins kalte Wasser springen, dann wirst du sehen, ob du schwimmst oder nicht.

Doch wie überzeugend sind Murakamis Überlegungen eigentlich?

Literatur ist so viel…

Der japanische Großmeister des surrealistisch angehauchten Romans weiß es selbst: Es gibt unendlich viele Arten von Romanen, so dass sich überhaupt nicht ohne Weiteres eingrenzen lässt, was das ist – ein Roman. Aus dieser Beobachtung heraus folgert er ja auch, dass fast jeder einen Roman schreiben  kann. Und doch steht bei seinen Ausführungen zur Beharrlichkeit als typische Schriftsteller-Eigenschaft eine ganz bestimmte Vorstellung von Erzählliteratur im Fokus.

Das Geschichtenerzählen wird in Murakamis Vorstellung zu einer Art Erkenntnisinstrument, das dem Schriftsteller dabei hilft, seine Themen besser zu verstehen, insofern er zu neuen Fragen gelangt. Diese behandelt er dann anhand neuer Geschichten und immer so weiter.

Romane lassen sich jedoch auch aus einem ganz anderen Antrieb heraus schreiben, etwa um zu unterhalten, um eine künstlerische Abwechslung zum Brotberuf zu etablieren oder um in einen Dialog mit bereits bestehenden Erzählmustern und Diskursen zu treten. Es ist nicht einzusehen, weshalb diese Möglichkeiten des Romans nicht auf Dauer von den einzelnen Autoren genutzt werden sollten.

Somit lässt sich also Murakami durchaus widersprechen. Wenn der Roman alles sein kann, dann kann er am Ende vielleicht sogar das sein: effektiv.

Wenn auch nicht bezogen auf den Antrieb, die Welt oder sich selbst zu begreifen, sondern bezogen auf das Ziel, zu unterhalten, aus Selbstzweck zu fabulieren oder das Narrativ einer neuen Lebensweise in die Welt zu bringen.

Und wenn Murakami all diese Möglichkeiten nicht als Roman gelten ließe, widerspräche er damit am Ende sich selbst.

Und was hast du jetzt davon?

Unabhängig davon, ob du Murakamis Ansicht über die Schriftsteller-Eigenschaft teilst oder nicht, können seine Ausführungen dein Schreiben bereichern.

Die Betonung des Roman-Schreibens als Lebensaufgabe, als Entwicklungsprozess, kann ungemein befreien. Wenn du eine dauerhafte Schriftstellerexistenz anstrebst, geht es dann nicht mehr darum, im Hier und Jetzt einen erfolgreichen Roman aufs Papier bringen zu müssen oder in fünf Jahren. Vielmehr ist es wichtig, im Schreiben zu bleiben und kontinuierlich Geschichten zu erzählen – welche Texte sich am Ende durchsetzen, wird sich dann schon zeigen. Im Übrigen gilt das nicht nur für Romane, sondern auch fürs Geschichtenschreiben oder sogar für Autobiographien.

Dieser Blick aufs Romanschreiben gleicht einem kraftvollen Apell, mehr auf sich selbst und auf die eigene Intuition zu vertrauen. Jenseits fester Regeln und Vorstellungen, wie das Produkt zu sein hat, kannst du dich so auf deinen eigenen Weg begeben, indem du schreibend gegen den (Lebens-)strom schwimmst. Doch zuerst musst du dafür eines tun: Springen!

 

 

Von Beruf Schriftsteller ist bei HörbucHHamburg erschienen und für 16,95 Euro als Download erhältlich.

 

Welche Eigenschaften sollte ein Schriftsteller haben?

 

Dieser Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung von audible.

14 Kommentare, sei der nächste!

  1. Ein Schriftsteller muss kreativ sein, Ausdauer haben, vor allem aber Frust verarbeiten können. Und das Talent allein reicht auch nicht aus, sondern eine gewisse Lebenserfahrung wären auch nicht schlecht. Unter den „Schreiberlingen“ sind wohlgemerkt auch jene Menschen zu finden, die zerbrechlich wie Porzellan sind, die die Hölle des Lebens durchlitten haben. Besonders sind unter den Poeten viele sensible Menschen vorzufinden, weil diese imstande sind, die schönen kleinen Freuden intensiv wahrzunehmen und jeden noch so kleinen Augenschmaus in Form von gefühlvollen Worten bildhaft in die Herzen zu tragen. Nur schenken die Verlage nur verdammt wenig Aufmerksamkeit. Dies sind halt Menschen, deren Schicksale sich für die Verlage nicht rechnen. Spektakuläre Szenarien lassen sich zu jeder Zeit verkaufen, weshalb jene Autoren Vorzüge genießen, die durch einen starken Hang zum Abenteuer in Erscheinung treten. Ein besonderes Einfühlungsvermögen und die sprichwörtliche Engelsgeduld halte ich für die wichtigsten Voraussetzungen. Und die Chemie zwischen Autor und Publikum sollte stimmen. Menschen, denen die Scheu vor der Öffentlichkeit in die Wiege gelegt worden ist, laufen viel schneller Gefahr, die geballte Ladung Frust der ersten Stolperfalle in das Synapsen – Konglomerat des menschlichen Hirns zu fressen. Und zu guter Letzt halte ich Organisationstalent für unabdingbar. Den „Aufbau“ von Beziehungen halte für jene „hohe Kunst“, die ein „einturnender Wortakrobat“ sich zu eigen machen sollte. Ich frage mich jetzt; „Wars das schon? Bei weitem gefehlt! Ich stütze nachdenklich meinen bleiernen Kopf und komme zu dem Schluss, dass ein verständnisvoller Partner ebenfalls nicht zu verachten ist. Schließlich nützt es nichts, wenn zum Beispiel der Gatte, ein glühender Verehrer zeitgenössischer Literatur, am Computer hängt, der Kopf raucht, die Frau lieber anderen menschlichen Bedürfnissen frönt, und sich nur noch mit dem Ziehen des Steckers zu helfen weiß!

    1. Lieber Michael,
      du bietest einen wunderbaren Überblick, wie vielschichtig das Schriftsteller-Dasein so ist. Es ist eben nicht die eine Eigenschaft. Es sind viele Faktoren, die uns beim alltäglichen Schreiben unterstützen. Vielen Dank für die Hinweise!
      Andreas

  2. Mich verwirrt der gute Murakami ein wenig, denn Eigenschaften hat der nicht herausgearbeitet. Und irgendwie finde ich mich dort nicht wieder. Aber vielleicht liegt das daran, weil ich so viel Zeit gar nicht mehr habe. Vor 40 Jahren stände da ganz groß im Raum, wie komme ich über die Runden, denn vom Schreiben leben, war damals auch nicht so einfach, zumal sich sich u.U. krumm machen musste. Heute kannst du schreiben was du willst, aber der Zensor heißt heute Verlag und das Marketing. Wie mein Vorredner schon sagte, sensibel, das sollte man schon sein. Die Sprache, unsere wird immer wirrer, je mehr die Experten daran rumdoktern, genau wie bei der Eisenbahn. Und leider oder Gott sei Dank, kann heute jeder was veröffentlichen, also es ist zu viel am Markt, wie von allem. Also hinsetzen, schreiben, bearbeiten und dafür werben, das ist schon Arbeit. Ob man das Schreiben erlernen kann, ich weiß nur, das ich dabei lerne, aber ob der Plot so Ok ist, es ist mein Baby. Und sicher wird man mit jedem Buch wachsen.

    1. Lieber Frank,
      du weist auf die jeweilige Zeit hin und auf deren Besonderheiten. Ich finde auch, dass Murakami ein ganz bestimmtes Bild von Schriftstellern hat. Aber hör mal ins Hörbuch rein oder lies in seinen Überlegungen nach – ich finde sie auch sehr motivierend und bereichernd.
      Schöne Schreibgrüße!
      Andreas

  3. Hallo Andreas,

    eine kompakte, verständliche Übersetzung für viele Fragen und Zweifel.

    Schriftsteller und Kunst? Regeln und Freiheit? Literatur und Roman? Ausdauer und Sprint?

    Alles Fragen, welche sich im gemeinsamen Raum der Kreativität immer wieder einem harten Zirkeltraining unterziehen müssen.

    Die Freiheit des Denkens darf unter keinen Umständen unter lustvoller Regelwut leiden. Andererseits haben Schriftsteller und Künstler die Regeln ihrer „Zunft“ mit ihren Arbeiten in Einklang zu bringen. Brechen sie aus, können sie sehr erfolgreich prägend werden. Manchmal aber auch verzweifeln, wie Monet, der vermutlich erste Selfiekünstler der Welt, da er aus Kostengründen vielen Selbstporträts gemalt hat.

    Beispiel Salvatore Dali: Sein Spiel mit der Zeit und den sich in ihrer Zeit bewegenden lebenden, aber auch technischen Protagonisten zeugt nicht nur von unglaublicher Fein- und Tiefsinnigkeit, sondern offenbart zugleich sein Gefühl für die ihn umgebende Welt. Dalis Werke schenken der Vergänglichkeit ewige Gegenwart.

    Und hier sind wir bei den Künstlern der Worte angekommen. „Das Parfüm“ beschreibt die fesselde Qual von der Suche nach Vollkommenheit in der quälenden Unendlichkeit der Sinneswahrnehmung.

    Bei genauer Betrachtung befinden wir „profane Verbraucher“ uns im Dreieck „Protagonist, Werk und Kunst“. Wer oder was nun Hypotenuse, Kathete oder Ankathete sein könnte, bleibt dahingestellt. Entscheidend war bzw. ist, die Regeln der Geometrie der Kunst müssen die “ Nutzer“ faszinieren.

    Die Kraft der Worte vereint alle Segmente der Phantasie zu einem Kunstwerk, welches erst durch lesen zu einem Feuerwerk der Bilder werden kann.

    Ob nun jemand der schreibt gleich Schriftsteller*in wird, wird die Zeit zeigen. Ob der Aufstieg zum schreibenden Künstler gelingt steht auf einem anderen Blatt.
    Fakt ist: Wort-Sprinter mögen schnelle Erfolg haben. Ausdauer-Schreiber bewegen sich durch die Landschaft der Gedanken, um diese in ihren Gedanken zu speichern. Bei passender Gelegenheit wird daraus „die faszinierende Geschichte, das emotionale Gedicht oder der fesselnde Roman“.

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